Am Mittwoch, dem 3. Juni 1998, befand sich der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ (Triebzug 151 des ICE 1)[1] mit etwa 200 km/h auf der Fahrt von München nach Hamburg beim Streckenkilometer 55,1,[2] etwa sechs Kilometer vor dem Ort Eschede, als um 10:57:28 Uhr[2] ein Radreifen an einem Rad der dritten Achse des ersten Wagens nach dem Triebkopf[3] (Personenwagen 1) durch Materialermüdung brach. Der abgesprungene Radreifen wickelte sich ab, bohrte sich durch den Boden eines Abteils zwischen zwei Sitzen in diesem Wagen und blieb dort stecken.
Nach dem Unfall wurde bereits rund sechs Kilometer vor der Unfallstelle am Streckenkilometer 55,1 eine etwa 20 cm lange und 4 cm tiefe Kerbe in einer Schwelle entdeckt, bei Kilometer 55,2 war der Linienleiter gerissen. Ab Kilometer 56,4 wurden deutliche Schäden an den Betonschwellen registriert.[3]
Als der Zug um 10:59:01 Uhr,[2] etwa 200 Meter vor einer Straßenbrücke am Ortsrand von Eschede, über die erste von zwei aufeinander folgenden Weichen (Weiche 2) im Südkopf des Bahnhofs Eschede[4] fuhr, prallte der noch immer im Zugboden steckende Radreifen um 10:59:06[2] gegen einen Radlenker der Weiche und riss diesen von den Schwellen; auch er bohrte sich durch den Zugboden, schoss im Vorraum (im Türbereich) bis in die Decke hinauf und hob dabei den Achsenkörper aus den Gleisen. Eines der entgleisten Räder traf auf die Weichenzunge der zweiten Weiche (Weiche 3, km 60,591)[4] und stellte sie dabei um, so dass die hinteren Achsen von Wagen 3 auf das in Fahrtrichtung rechts abzweigende Gleis gelenkt wurden. Auf dem für viel geringere Geschwindigkeiten ausgelegten Weichenradius konnte sich der seitlich ausgelenkte Wagen nicht halten, schleuderte mit seinem Ende über das Nebengleis hinaus und gegen die Pfeiler der Straßenüberführung der Kreisstraße 20,[4] die dadurch einstürzte; zwei Bahnarbeiter, die unter der Brücke standen, wurden getötet. Wagen 4, der durch das plötzliche Ausscheren von Wagen 3 bei immer noch 200 km/h ebenfalls entgleist war, unterquerte die einstürzende Brücke noch unversehrt, stürzte aber seitlich nach rechts eine Böschung hinunter und kam vor einer Baumgruppe zum Liegen.[4] Durch das Zerreißen der Hauptluftleitung und den daraus resultierenden Druckluftverlust im Bremssystem sprachen die selbsttätigen Bremsen an und die weitgehend unbeschädigten Wagen 1 und 2 sowie der an seinem Ende schwer beschädigte Wagen 3 blieben wenige hundert Meter hinter der Brücke in Richtung Bahnhof Eschede auf dem Gleiskörper stehen.
Mit der Zugtrennung sprach auch eine elektrische Sicherheitsschleife an, die binnen einer halben Sekunde eine Schnellbremsung der Wagen und des nachlaufenden Triebkopfes einleitete und den Stromabnehmer des nachlaufenden Triebkopfs senkte.[5] Der vordere Triebkopf bremste von 10:59:21 bis 11:00:32 Uhr aus einer Geschwindigkeit von rund 170 km/h selbstständig auf null.[2] Als der rund 600 m vom Unfallort stationierte Fahrdienstleiter des Bahnhofs Eschede den allein fahrenden Triebkopf bemerkte, stellte er die Signale des Bahnhofs auf Halt.[6]
Die ungefähr 200 Tonnen schwere Brücke brach über der zweiten Hälfte des fünften Wagens zusammen und beschädigte den hinteren Teil des Wagens. Der sechste Wagen wurde unter den Trümmern begraben.[4] Die folgenden Wagen schoben sich im Zickzack auf engem Raum, etwa der Länge eines einzigen Waggons, zusammen. Wagen 6, 7, der Servicewagen, der Speisewagen (Bordrestaurant), der von den herabstürzenden Trümmern der Brücke getroffen und teilweise auf eine Höhe von ca. 15 cm gequetscht wurde, sowie die drei Wagen 10 bis 12 der ersten Klasse wurden schwer beschädigt; der hintere Triebkopf entgleiste ebenfalls und fuhr auf den Trümmerberg auf.[7]
In den Trümmern fand sich auch ein VW Golf III Variant der DB, der vor dem Unfall auf der Brücke stand und mit ihr in die Zugtrümmer hineinfiel. Er war dort von den zwei DB-Signaltechnikern, die bei dem Unfall ums Leben kamen, abgestellt worden. Medienberichte vom selben Abend, wonach das Auto von der Brücke gestürzt sei und damit den Unfall ausgelöst habe, stellten sich nach der Untersuchung des vorderen Triebkopfes als nicht haltbar heraus, da er keine Spuren einer solchen Kollision aufwies.[3]
Der vordere Triebkopf stoppte durch automatische Bremsung zwei Kilometer hinter dem Bahnhofsgebäude von Eschede. Der Triebfahrzeugführer, der bei dem Unfall leicht verletzt wurde,[4] gab später vor Gericht an, dass er vor Eschede nur einen plötzlichen Ruck verspürt und einen Leistungsabfall bemerkt habe. Nach dem Stillstand ging er daher zunächst von einem technischen Defekt aus und versuchte aus dem Führerstand heraus vergeblich, die ausgefallene Stromversorgung wiederherzustellen. Von dem Unfall erfuhr er erst durch den Fahrdienstleiter des Bahnhofs Eschede, der ihn per Zugbahnfunk darüber informierte, dass der Triebkopf ohne Wagen vorbeigefahren war.
Ein Zug der Gegenrichtung (aus Hamburg in Richtung Hannover) hatte die Unfallstelle bereits knappe zwei Minuten vorher passiert. Der ICE 787[6] „Karl Adam“ fuhr an jenem 3. Juni eine Minute vor Plan durch Eschede; der ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“ hatte dagegen eine Minute Verspätung – eigentlich hätten sich die Züge zur Symmetrieminute 10:57 hier begegnen sollen.